Norditalien kämpft immer mehr mit dem Klimawandel. Zankapfel ist dabei häufig der bei deutschen Urlaubern so beliebte Gardasee. Es ist doch Alles, so wie es immer war meinen die Einen. Viel zu wenig Wasser, sagen die Anderen. In sozialen Medien steht vor allem das Reisevergnügen im Vordergrund, die Diskussionen sind hitzig. Doch: Wer glaubt, das sich die Lage lediglich um das alljährliche Badevergnügen am Gardasee dreht, irrt gewaltig. Der Gardasee ist schließlich eines der größten Wasserreservoirs des Landes mit großer Bedeutung für die Landwirtschaft in der darunter liegenden Poebene.
Die Quelle des Wassermangels.
Ein Ortswechsel in die Gebirgstäler nördlich der oberitalienischen Seen macht deutlich, wie der Wassermangel entsteht. Im wildromantischen Tal abseits der Touristenströme soll eine alte Mühle verkauft werden. Auf der Terrasse des urigen Gemäuers lagern riesige Mühlsteine, die hier einst in Betrieb waren.
Naturgemäß liegt direkt vor dem Haus ein Wildbach. Doch: Im Frühjahr 2023 führt der Bach kein Wasser – er ist vollständig ausgetrocknet. Und das zur besten Zeit der Schneeschmelze. Früher sprudelte das Wasser hier im ganzen Jahr die hohen Berge hinunter wissen die Dorfbwohner zu erzählen.
Die Fahrt geht noch weiter, doch auch oben ist viel zu wenig Wasser in den Gebirgsbächen – auf den Bergspitzen liegt nur ein klein wenig Schnee.
Eindeutige Forschungsergebnisse.
Forscher haben inzwischen heraus gefunden: Die Schneemenge auf der Nordhalbkugel sinkt jedes Jahr. Vor allem sind davon die südlicheren Teile der nördlichen Halbkugel betroffen – inklusive Südeuropa und Italien. Die Zuflüsse zu den oberitalienischen Seen sind schlicht zu trocken geworden. Hinzu kommen lange Hitzesommer ohne nennenswerte Niederschläge, die das Problem noch weiter verschärfen. Die Entwicklung wird eindeutig dem Klimawandel zugeschrieben.
Die Landwirtschaft in der Poebene leidet.
Südlich der italienischen Alpenkette liegt breit und ausgedehnt die Poebene. Wo sich der große Fluss quer durch Italien zieht, wird links und rechts im großen Stil Landwirtschaft betrieben. Die Poebene ist die Kornkammer Italiens. Tomaten, Mais und viele andere Pflanzen wachsen hier; viele auch für den Export. Und noch mehr: Im Landstrich der Lomellina wird Reis angebaut. Das größte und wichtigste Anbaugebiet für Reis in Europa spielt eine große Rolle – nicht nur für Italien. Der Reisanbau ist vor allem Eines: Wasserintensiv. Am Wasser hat es in der Vergangenheit nie gemangelt, doch im Jahr 2022 mussten die Landwirte hohe Verluste hinnehmen, denn es war nicht mehr genügend Wasser da. Auch im Jahr 2023 wiederholte sich das Dürreproblem in der wichtigen Lomellina.
Doch was hat das nun mit dem Gardasee zu tun? Die oberitalienischen Seen fungieren auch als Wasserspeicher. Aber: Angesichts der großen Trockenheit hat die Entnahme von Wasser aus dem See Grenzen. Zur Rettung der Ernte in der Poebene musste das Wasser aus dem Gardasee abgepumpt werden, um den Fluss Po zu speisen.
Konfliktpotential rund ums Wasser.
Die Folge des Abpumpens für den Fluss Po für den Gardasee: Der Wasserstand des Sees sank. Sehr zum Missfallen der ortsansässigen Gemeinden direkt am See. Man sah die Landwirtschaft rund um den See, das Ökosystem am Gardasee und auch den Tourismus gefährdet. Wann genau der Kipppunkt erreicht ist, ist unklar. Aber: Wer einen Gartenteich besitzt weiss, dass ein einziger sehr heißer Tag bereits das System zum Kippen bringen kann. Unter Umständen können sich beispielsweise Algen bilden, die zu einem Fischsterben führen. Die Sorge um den See ist also durchaus berechtigt. Das Problem mit dem Kipppunkt: Wir wissen es erst, wenn es soweit ist. Darauf will man es selbstverständlich nicht ankommen lassen.
Der Konflikt, der sich daraus ergibt ist stellvertretend für das, was Wasserknappheit mit sich bringt: Wenn eine der wichtigsten Ressourcen unseres Planeten nicht mehr in ausreichendem Maße oder zuverlässig verfügbar ist, wird die Stimmung streitlustig.
Die Folgen des Klimawandels verlaufen nicht linear.
Für das Jahr 2024 sieht es vorerst – Stand März 2024 – gut aus für den Gardasee und den Fluss Po. Beide Gewässer sind gut gefüllt, reichliche Schneefälle in den Alpten haben im Februar für Wassernachschub gesorgt, der in Form der Schneeschmelze mit wärmeren Temperaturen die Gewässer am Alpenrand und in der Poebene versorgt.
Doch: Wer sich nun in Sicherheit wiegen will, hat weit gefehlt. Die UN warnt vor immer häufigeren Dürren und Wasserknappheit. Auch Unwetter mit zu viel Wasser in kürzester Zeit können zu Problemen führen – in Form von Überschwemmungen wie im vergangenen Jahr in der Region Emilia-Romagna und in der Toskana. Auch in den kommenden Jahren können sich Reisende also nicht auf idylische Zustände ohne Probleme verlassen.